Schrankenposten

 

 

 

 

    Feiningerland
    Eine Rundfahrt durch Thüringens Norden

    Wenn ich a) mal einen ganzen Tag zur freien Disposition habe und b) das Wetter nur mittelmäßig ist, dann steht mal wieder eine Streckenkunde-Fahrt durchs arg vernachlässigte Tarifgebiet B an. So auch am 5. März 2000.

    Die Anreise von Arheilgen (S-Bahn) über Frankfurt Hbf (RE) und Kassel-Wilhelmshöhe (RE) nach Wolkramshausen sollte, weil hinreichend ausgelutscht, keine Überraschungen mehr beinhalten. Und doch offenbaren sich einige bislang nie wahrgenommene Details: ein Blinklicht-BÜ mit dem seltenen „Zwei Züge“-Zusatz zwischen der Awanst Uttershausen und Wabern, eine Art Wehrturm an der Werrabrücke in Kragenhof und ein uriger 2x-Gepäckwagen in einem Schrebergarten in Eichenberg. Östlich Eichenberg nehme ich erstmals die Reste der ursprünglichen Trasse Friedland - Arenshausen wahr. Warum wurde die eigentlich nicht wiederaufgebaut?

      Der Grund war wohl der geringere Natureingriff bei Neubau einer kurzen Verbindungsspange innerhalb des Bahnhofs Eichenberg.

    Ab Wolkramshausen führt mich 232 205 in terra inkognita und zu allerlei bemerkenswerten Betriebsstellen. Nach dem Abstieg ins Wippertal fällt mir in Kleinfurra die außerordentliche Längenentwicklung des Bahnhofs auf. Wenige Kilometer später grüßen die Kalibergwerksleichen des Sondershäuser Reviers. Die Zugangsstelle Glückauf präsentiert sich als durchgeschaltete Bk Awanst, wenn ich die betriebliche Situation recht interpretiere. Immerhin wird eines der Gleise in der Awanst gerade erneuert, was auf eine mindestens rudimentäre Präsenz von DB Cargo schließen läßt.

    Sondershausen scheint für sich allein eine Reise wert zu sein. Drei Stellwerke, ein Wasserturm, eine Drehscheibe mit Lokschuppen drängen sich auf engstem Raum mit den ehemaligen Zechengebäuden der „Gewerkschaft Glückauf Bebra“ (Bebra ist ein Ortsteil von Sondershausen). Besonders bemerkenswert fand ich die Stahlträger, die vom Hausbahnsteigsdach hinüber zum Zwischenbahnsteigsdach zwei Gleise überspannen. Das Zitat einer Bahnhofshalle, sozusagen.

    RB in Niederspier
    Am Hp Niederspier findet sich die klassische Anordnung eines Schrankenpostens: hoch am Hang über der Bahn gelegen, mit weitem Blick über die Trasse, kann die Schrankenwärterin ihre beiden BÜs kurbeln.
    Das schlechte Wetter habe ich übrigens extra abgewartet, damit das Rot der 232 besser zur Geltung kommt ;-)

    Es folgen:

    • ein landschaftlich ungemein reizvoller Abschnitt, der die Hainleite quert,
    • darin bei km 16 ein Schrankenposten (geifer, lechz), der zur Deckung seiner selbst Blocksignale besitzt,
    • der abgelegene Bahnhof Hohenebra, der noch Güterverkehr aufweist und dessen abzweigende Strecke Richtung Ebeleben nicht völlig verrostet aussieht
    • Der Bk Hp Hohenebra Ort, der neben zwei mechanischen Schranken nur ein Blocksignal (in Richtung Sondershausen) zu bieten hat, welches zudem nichtmal die BÜ's deckt,
    • der Hp Niederspier mit musterhaft gelegenem Schrankenposten (lechz, geifer)
    • der Bahnhof Wasserthaleben, lang genug um inmitten des Bahnhofs ein einzelnes zweibegriffiges Spiegelei (!) als Ausfahrvorsignal stehen zu haben.

    Schon eine ganze Zeit lang habe ich den Eindruck, dass die Gegend mir vertraut ist. Diese weiten, ausgeräumten Hügel. Die Kopfweiden entlang der Bachläufe. Das Licht. Als bei Greußen erst ein Kirchturm, dann ein ganzes Dorf am Horizont erscheint, dämmert mir: hier hat Lyonel Feininger gemalt. Und jetzt sehe ich auch: er hat nicht nur schön, er hat auch gut gemalt.

    In Straußfurt, wo der GB Schotterwüste nur halbherzig gewütet hat, wartet schon 202 555 mit zwei Wagen auf mich und den Zf. Die Strecke nach Sömmerda ist von maximaler Öde. Weißensee verblüfft mit einem Dutzend Kesselwagen und einem in Bau befindlichen neuen Ladegleis. In Sömmerda erfreut mich die Tatsache, dass der efeuüberwachsene Posten 5 noch in Betrieb ist. Leider sucht sich die aus Großheringen einfahrende 202 531 als Ankunftszeit genau jene Minute aus, in der dichtes Schneetreiben herrscht. Drei Minuten vorher und nachher wars sonnig :-(

    Verkehrsrot retuschierter 772 158
    Im Auftrag der Thüringer Nahverkehrsservicegesellschaft fährt der verkehrsrote 772 158 durchs Ilmtal
    [Ausschnitt aus dem Werbeprospekt "Willkommen auf der Ilmtalbahn" der NVS]

    Der RE nach Magdeburg, der mich bis Bretleben begleitet, ist gut besucht. Auf dem Weg entlang der Unstrut fällt mir auf, dass die aufgelassenen Stellwerke in den Zwischenbahnhöfen ihrem Baustil nach den 50ern zuzuordnen sind. Hat hier die DR analog zu Göttingen - Bebra im Westen eine eher unbedeutende Nebenstrecke zur Nord-Süd-Magistrale ausgebaut?

    Eine Schienenbusgarnitur bringt mich zusammen mit rund 10 weiteren Fahrgästen gen Westen. Auf den ersten Kilometern ist die Strecke recht öde, immerhin geben Kyffhäuser Gebirge und Hainleite dem betrachtenden Auge einen Rahmen. In Esperstedt ist die Trasse der früheren Privatbahn nach Oldisleben nur noch fürs geübte Auge erkennbar. In Bad Frankenhausen lockt Tübkes eindrucksvolles Bauernkriegsgemälde, doch heute ist hier für mich keine Zeit, während die Mehrzahl der übrigen Fahrgäste den Zug verläßt. Bei der Weiterfahrt muß noch im Bahnhofsbereich ein meinem Eindruck nach gut einsehbarer BÜ von der Zf mit der Fahne gesichert werden. Fahrzeitmäßig macht das jedoch nicht viel aus, lange Abschnitte lassen ohnehin nur 30 km/h zu.

    Gelangweilt von der Dauer-La-Fahrerei ergreife ich einen ausliegenden Prospekt der Nahverkehrsservicegesellschaft Thüringen mbH, welcher die Ilmtalbahn Weimar - Kranichfeld bewirbt. Das Titelbild ziert ein retuschiertes Foto, welches 772 158 im aktuellen Regionalverkehrsrot beim Überqueren einer Brücke zeigt!

    Hinter Rottleben überwindet der VT kurvenreich einen Hügelzug und erreicht bei Göllingen das Tal der Wipper (nicht zu verwechseln mit der nahegelegenen Wipperliesen-Wipper!). Im ehemaligen Bahnhof zweigt ein aufwendig trassiertes und offensichtlich nicht sehr altes Anschlußgleis zu einem gewesenen Industriebetrieb ab. Wenig später wird ein bahnhofsähnliches Gebäude passiert, welches zu Hause dank Opitz’ Verkehrstaschenatlas von 1930 als ‘Müser Schacht’ identifiziert werden kann.

    In Berka (nicht Bad Berka!) wird gekreuzt, die Personale halten vor der Weiterfahrt ein ausdauerndes Schwätzchen. Es folgt Jecha, ein ebenfalls noch besetzter Bahnhof mit Zwei-Hebel-Stellwerk auf dem Bahnsteig. Das Fehlen von Ausfahrsignalen irritiert mich Signalhochrüstungs-verwöhntes Bundesbahn-Kind.

    Posten Sondershausen Süd
    So selten, wie ich für Fototouren Zeit habe, bleibt kaum anderes übrig, als auch schlechtes Wetter fotografierenderweise hinzunehmen. Doch auch Schlechtwetterbilder können ihren Reiz haben; zumindest nach meinem Geschmack reißt der Lichtreflex im Straßenbelag einiges raus.

    Der Posten Sondershausen Süd wirdd nach dem Leipziger Verfahren gesichert, das heißt die Schranken müssen geschlossen sein, bevor ein Zug in Sondershausen oder Jecha die Abfahrerlaubnis erhält. Entsprechend lang sind die Schließzeiten, und die Schrankenwärterin hat es sich schon zur Gewohnheit gemacht, sich zum Schutz vor allfälligen Beschimpfungen in ihr kleines Büdchen zurückzuziehen.

    In Sondershausen Süd begeistert mich wiederum ein wärterbedienter Schrankenposten am insgesamt sehr romantischen Haltepunkt. Das Einfahrsignal von Sondershausen steht dank einer engen Rechtskurve links des Gleises und komplettiert so den gewonnenen Eindruck, heute wieder allerlei Betriebsstellen mit kuriosen Details begegnet zu sein.

    Von der Rückfahrt nehme ich noch mit, dass Halle - Kassel auch sonntags eine echte Güter-Rollbahn ist. Nicht weniger als 13 Güterzüge sind mir insgesamt auf Hin- und Rückweg begegnet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Diese Datei wurde erstellt von Volker Blees am 26.02.2004.
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