Schrankenposten

 

 

 

 

Im Grenzland zwischen Thüringen und Sachsen
18. Februar 2001

Kürzlich sonntags hatten mir Verena, Ella und Luis einen Eisenbahntag geschenkt, und da das Wetter zumindest in den mittleren Partien der Republik zu schlecht zum Eisenbahnfotografieren werden sollte, war mal wieder eine Erkundungstour über unbekannte Strecken angesagt.

Vorab: alle Züge waren innerhalb vertretbarer Toleranzen pünktlich. Horrorgeschichten zum Service der Bahn gibt's auch keine, nur eine Sammlung bahnhistorischer, -technischer und -betrieblicher Beobachtungen zwischen Weimar, Zwickau, Falkenstein, Weischlitz, Gera, Zeitz und Weimar und vor allem einige Fragen.

Um kurz nach 6 in der Früh geht's los in Kassel Hbf, die sechs Wagen auf dem SWT-Highway gen Halle sind gähnend leer. Bis Leinefelde tüftele ich noch an der Route, zaudere lange, ob ich auf tatsächlich auf die Wiederherstellung der Weiche in Rochlitz vertauen und auf eine Befahrung der KBS 529 verzichten soll ...

In Leinefelde ist rasches Umsteigen in die bereitstehenden 612er nach Sachsen angesagt. Trotz Eile wird mir erstmals klar, was mich bei der Benutzung dieses Bahnhofs immer so irritiert: Der Hausbahnsteig heißt ‚2', die Gleise am Inselbahnsteig aber ‚1' und ‚3'. Da wird wohl auch eine interessante Geschichte dahinterstecken ...

Es ist meine erste Fahrt mit der BR 612 und auf der neigeertüchtigten Strecke nach Gotha. Die Fahrzeuge lösen eher ein Achselzucken bei mir aus als Begeisterung oder Abneigung, phantastisch finde ich aber, was die DB mit des Freistaats Geld aus der Strecke gemacht hat: Mit 150 Sachen durchs Morgengrauen in die Kurven, das macht richtig Spaß! Weniger Spaß macht freilich, was aus der Vielzahl einstiger Bahnhöfe geworden ist - das meiste zu Hp degradiert und vermutlich eng auf genau ein mögliches Betriebsprogramm zugeschnitten.

Am Hp Bufleben steht einsam noch ein ausgekreuztes EZMG-Signal an der nördlichen Ausfahrt. Hatte nicht kürzlich jemand in d.e.b.e. behauptet, EZMG habe es mit nur an Nebenbahnen gegeben? Oder war LSZ - Gotha früher Nebenbahn und Bufleben ist die zweite aufwertungsbedingte Ausnahme?

Ab Gotha fängt - im Vergleich zum vorigen Streckenabschnitt - die Trödelei an. Zwischen Erfurt und Weimar laufen die ESTW-Vorbereitungen auf Hochtouren, die Tage der mechanischen Stellwerke und der drei Blockstellen sind also gezählt.

Zwischen Weimar und Jena fällt mir auf, dass das Planum des zweiten Gleises über längere Abschnitte hinweg betoniert ist. Was soll das? Wann wurde überhaupt das zweite Gleis zwischen Erfurt und Gera ausgebaut?

Die Landschaft zwischen Göschwitz und Gera ist dazu angetan, bei einer Fototour erwandert zu werden. Mit dem Planum des einstigen zweiten Gleises ist ja auch ein bahnnaher Wanderweg vorhanden. In Stadtroda Kreuzungsaufenthalt mit 232 272 und ihrem IR. Die Stellwerke hier heißen ‚Rw' und ‚Ro' - hat Roda denn erst jüngst Stadtrechte bekommen? :-)

Geras Bahnanlagen vermitteln mit Ausnahme des engeren Hbf-Bereichs Endzeitstimmung. Vor allem Gera Süd ist nur noch als Kulisse für einen tristen Bergmann-Film brauchbar. Ist eigentlich Fristers Buch "Bahnknoten Gera" brauchbar? Den heute noch vorhandenen Anlagen nach zu urteilen scheint die Entwicklungsgeschichte der Bahn in Gera ja mit mancherlei Besonderheiten und Kuriositäten aufzuwarten.

    Ja, das Buch ist tatsächlich zu empfehlen und die Geraer Bahngeschichte ist ebenso tatsächlich kurios und interessant.

Ronneburg, Nöbdenitz und Schmölln (X mit 642 als RB) scheinen im Zustand Gera Süd nachzueifern, werden lediglich von Raitzhain übertroffen, das einfach nur tot ist. Ein Lichtblick dagegen das renovierte Abzweigstellwerk in der Pleißeaue, geschmückt mit dem schönen Namen Saara.

Der folgende Streckenabschnitt bis Zwickau besticht durch eine gelungene 612-Flügelung in Gößnitz (nachdem ich hier war, kann ich mir hoffentlich merken, dass Göschwitz und Gößnitz zwei verschiedene Orte sind; demnächst muss ich dann noch nach Gaschwitz ...), Schweinsdorf-Colten als DR-typischen Bk Hp zur BÜ-Deckung, etliche bemerkenswerte Brückenbauwerke in ansonsten recht flach erscheinender Landschaft und das Stellwerk mit sechs- oder achteckigem Grundriss im Werdauer Bogendreieck.

In Zwickau ist genug Zeit zum käuflichen Erwerb von Proviant sowie der neuen ‚Drehscheibe' und zum telefonischen Erwerb eines schlechten Gewissens, denn Ella und Luis sind erwartungsgemäß in meiner Abwesenheit (aber nicht derentwegen) krank geworden :-(

Kurz nach halb zwölf rollt pünktlich der Vogtlandbahn-RegioSprinter an den Bahnsteig. Bisher kannte ich die Fahrzeuge nur von der DKB, und dort waren sie mir erheblich discountmäßiger vorgekommen. Die Strecke nach Falkenstein ist flott ausgebaut, aber offensichtlich noch nicht einmal auf das betrieblich erforderliche Mindestmaß reduziert. In Voigtsgrün findet unverkennbar noch Wagenladungsverkehr statt, im einstigen Abzweigbahnhof Lengenfeld agiert eine fleißige Reisendensichererin, die bei unserem Zug aber keine Reisenden zu sichern hat. Der Bahnhof Falkenstein wartet mit einem modernen Bahnsteig inmitten einer Schotterwüste auf. Der Aufzug zum Bahnsteig wirkt in dieser Umgebung etwas surreal. Unser Triebwagen ist als erster an den Bahnsteig gefahren. Minuten später kommt der RS aus Herlasgrün und bleibt zunächst geraume Zeit vor der Bahnsteigkante stehen, rund 100 m vor dem vorderen Zugteil. Den Sinn dieses Halts konnte ich nicht erfassen, versuchte es auch gar nicht erst, sondern bestieg lieber den Gegenzug gen Adorf via Plauen.

Die Strecke nach Herlasgrün schien mir weniger gut ausgebaut als der vorige Abschnitt. Zumindest konnte der RegioSprinter an etlichen nichttechnisch gesicherten (ich bleibe bei dieser Terminologie!) BÜs seine Brems- und Anfahrbeschleunigung unter Beweis setzen. In Herlasgrün fasziniert mich die Anlage als Dreiecksbahnhof. Gibt es eigentlich mehr solcher Bahnhöfe? Von den mir bekannten reicht nur Appenweier entfernt daran.

Plauen ob. Bf besitzt mit blechverkleidetem EG und Stellwerk B1 (e-mech.) die Strahlkraft des realexistierenden Sozialismus der 70er Jahre. Wenige Kilometer weiter wirkt Weischlitz provinziell und gibt mir mit Bahnsteigen beidseits des EG mal wieder eisenbahnhistorische Rätsel auf.

Elstertal? Schöööön! Auch im 642. Weiter kein Kommentar.

Oder doch? Posten 31 am Hp Elsterberg-Kunstseidenwerk und Posten 1 am Tunnel in Greiz würde ich auf jeder Modellbahn als unrealistischen Kitsch apostrophieren - hier existieren sie real. Und eine Frage noch: was haben die feststehenden, also einbegriffigen Einfahrvorsignale des Bahnhofs Rentzschmühle zu bedeuten (übrigens ein Beispiel für den kürzlich hier diskutierten EBO-gerechten Mindestbahnhof: es gibt nur eine Weiche, und in den abzweigenden Gleistummel passt mit viel Glück eine Köf)?

Von Gera geht's über die eingleisige (seit wann?) Hauptbahn nach Zeitz. Dort Umstieg in den LVT/S der Burgenlandbahn (ein Zweiachser, der IMHO in punkto Laufruhe noch die CD-810 übertrifft), wo der Tf die Fahrausweise vor der Abfahrt kontrolliert und als einer der wenigen Plätze noch der Sitz neben der Fahrerkabine frei ist. Es liegen Faltblätter aus mit einem neuen, ab 26.2. gültigen Fahrplan auf der KBS 551. Ein oberflächlicher Vergleich mit den Kursbuchdaten offenbart aber Verschiebungen nur im Minutenbereich.

Die niveaufreien Ausfädelungen nördlich des Zeitzer Rangierbahnhofs muss ich mir wohl mal in Ruhe anschauen, im Vorbeifahren habe ich jedenfalls nicht kapiert, welche Trasse wohin führt(e). (Oder gibt mir jemand Nachhilfe?)

Die einst zweigleisige Hauptbahn nach Weißenfels hat ihren eigenen Charme. Unverkennbar ist die einst dominierende Güterverkehrsfunktion. In Deuben schließt sogar eine augenscheinlich noch betriebene elektrifizierte Werkbahn an. Angesichts des Niedergangs der Strecke sind die LVT/S - wie soll ich sagen - ehrliche Fahrzeuge.

In Langendorf steht ein Stellwerk, von dem aus eine Schranke und zwei Signale bedient werden. Laut DS 100 handelt es sich aber um einen Haltepunkt. Handelt es sich hier um einen Schrankenposten mit reinen BÜ-Deckungssignalen, ohne Einbindung in den Streckenblock?

    Bis zur Inbetriebnahme des EStw Weißenfels war Langendorf wohl Bk, man hat dann aber auf die Anpassung an die neue Technik verzichtet und einen Posten mit nicht-blockabhängigen Deckungssignalen daraus gemacht. Der Blockapparat selbst ist noch vorhanden.

Hinter Weißenfels wird's dann endlich dunkel, Augen und Hirn sind eh schon längst müde vom konzentrierten Beobachten, und ich kann mich auf eine geruhsame Heimfahrt zu meinen kranken Kindern machen.

 

Diese Datei wurde erstellt von Volker Blees am 26.02.2004.
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