Schrankenposten

 

 

 

 

Leichenfleddern in Sachsen-Anhalt
17. + 18. August 2002

Die bevorstehende Abbestellung der 13 Strecken in Sachsen-Anhalt lässt auch mich nicht ganz kalt, denn etliche von ihnen habe ich noch nie bereist und das Ende einiger der von mir so geschätzten Schrankenposten ist auch zu erwarten. Da ich bis Ende September allenfalls ein Wochenende erübrigen kann, setze ich Prioritäten bei noch nicht fotografierten Posten und beschließe eine Reise durch Börde und Altmark. Man muss die Leichen eben fleddern, bevor sie ganz tot sind.

Am frühesten Samstag Morgen erbarmt Verena sich meiner und setzt mich noch vor 6 Uhr am Kasseläner Hauptbahnhof ab. Der RE nach Halle ist um diese Zeit gewohnt leer, und ich kann bis Sangerhausen noch etwas dösen. Dortselbst wird der RE nach Magdeburg nur sehr zögerlich bereitgestellt, und der gut gefüllte Drei-Wagen-Zug mit schiebender 218 verlässt mit 8 Minuten Verspätung seinen Startbahnhof.

Der Propagandaspruch in Blankenheim Trennung ist mir bereits bekannt, doch einige Kilometer weiter in Helbra nehme ich erstmals wahr, dass das Schild am Stellwerk noch von einem "Kombinat Wilhelm Pieck" kündet. So nah liegen Epochen der Zeitgeschichte beisammen ... Wird Helbra im Güterverkehr eigentlich noch bedient?

Der Bahnhof Sandersleben sieht mich seit Inbetriebnahme des ESTW zum ersten Mal und ich staune nicht schlecht über die Optimierungskünste von DB Netz. Lediglich die Wege zwischen den Bahnsteigen bzw. zum Ausgang sind etwas verwinkelt. In einem der Winkel kommt mir eine Frau mit etwas verkniffenem Gesicht entgegen und fragt mich, wo das Bahnhofsklo sei. Da mir gerade ein WC-Piktogramm begegnet ist, bin ich ihr auf der Suche behilflich; leider müssen wir feststellen, dass sich der Hinweis auf die Toilette der Gaststätte bezieht, und die hat ja bekanntlich samstags Ruhetag.

Die Strecke bis Halberstadt verbringe ich am ‚Rückfenster' eines jener praktischen kurzen Halbgepäckwagen in der Absicht, mir die EStw-Wüste bis Halberstadt aaus der negativen Lokführerperspektive anzuschauen. So recht gelingt mir das nicht, da mich nacheinander drei Einsteiger belatschern und mich über die Schlechtigkeit der Welt (Nr.1: Die da oben nehmen uns unsere Arbeitsplätze weg; Nr. 2: Ich war früher beim Gleisbau und da war alles viel besser; Nr. 3: Die Banken bereichern sich an unserem Geld) unterrichten. In Aschersleben fällt mir auf, dass das Stellwerk am BÜ unweit des Personenbahnhofs noch besetzt ist. Sitzt hier der ESTW-Fdl oder ein BÜ-Beobachter?

    Letzteres.

In Halberstadt sehe ich erstmals im ex-DR-Bereich eine West-Köf III rangieren. Wäre nicht die lange Reihe abgestellter U-Boote im Hintergrund, der Bahnhof schiene fest in der Hand von Bundesbahn-Dieselloks. Eine solche befördert mich auch weiter gen Magdeburg. Durch verschiedenen Motorbauarten der 218 habe ich bis heute nicht durchgeblickt, aber diese hier hört sich so staubsaugermäßig an, als habe sie sich hier im Osten einen V300-Virus eingefangen.

Bk Wehrstedt ist als letzter Bk der Region vor kurzem aufgelassen worden, und im Fahrdienststellwerk von Groß Quenstedt kann sich nur noch eine Schrankenwärterin austoben. In Nienhagen versperrt eine Sh2-Tafel den Weg nach Dedeleben. Der Hp Krottorf fasziniert durch einen niveaugleichen Bahnsteigzugang, der über den Straßen-BÜ am Bahnsteigende verläuft. Dort warnt ein Schild, den Bahnsteig zu verlassen, wenn die Schranken unten sind. Täusche ich mich, oder gab es hier mal eine Betriebsstelle mit ‚normalen' (also DB-ähnlichen) Lichtvorsignalen?

Der Bahnhof Oschersleben präsentiert sich als linienförmige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme: ich zähle nicht weniger als fünf besetzte Stellwerke, dazu kommt noch der Wärter am Posten 31. Die Relation zwischen Personalbedarf und planmäßig benutzten Fahrwegen im Bahnhof (das dürften zwei sein, Fahrstraßen dank Zwischensignalen immerhin vier) wird wohl kaum zu übertreffen sein.

Posten 27 bei Andersleben hat einen Container als Wärterhäuschen bekommen; bei der raschen Vorbeifahrt kann ich allerdings nicht erkennen, ob die Schranke von Jüdel oder Weinitschke stammt - einzigartig wäre auf jeden Fall beides.

Blumenberg erreiche ich in der größten Mittagshitze, und ein wenig graut mir schon vor der bevorstehenden Wanderung. Doch zunächst warte ich am ehemaligen Posten 13 noch zwei REs ab und versuche mich dann im Trampen. Tatsächlich bekomme ich rasch einen Lift nach Wanzleben und erhalte Gelegenheit, bei Disconto meine Lebensmittelvorräte zu ergänzen (wie können sich eigentlich diese riesigen, bei meinen Visiten immer gähnend leeren Supermärkte im Osten halten?).

Der Bahnhof Wanzleben wartet mit einem geöffneten Warteraum im sozialistischen Dekor auf, eine bedruckte Glasplatte an der Außenwand des Gebäudes wirbt für den Magdeburger Zoo. Nachdem das Zwölf-Uhr-Ferkel am ehemaligen Posten B im Kasten ist, geht's weiter gen Klein-Wanzleben. Ich überschlage rasch, dass eine Schienenwanderung zeitlich knapp werden könnte, und entschließe mich zu einem weiteren Tramp-Versuch. Der glückt auch prompt, und ich werde im Schatten riesiger Lagergebäude vor der Tür des Posten A in Klein-Wanzleben wieder aus der klimatisierten Blechkiste entlassen. Ganz als wolle mich der Tag reich mit Eindrücken beschenken, ist genug Zeit, das ausgedehnte Gelände der ehemaligen Zuckerfabrik (mit Rübenornamenten am Eingangstor) zu durchstreifen und von zwei älteren Damen über Aufstieg und Fall des beeindruckenden Fabrikareals aus erster Hand informiert zu werden.

Pünktlich durchrollt das Ferkel die ausgedehnten Gleisanlagen, von drinnen staunen offensichtlich nur ähnlichgesinnte Leichenfledderer. Für den nächsten Wegabschnitt schwanke ich zunächst zwischen Bahndamm und Straßendamm, entscheide mich dann aber für die Apfelallee nach Remkersleben. Die Landstraße verbreitet echtes DDR-Flair mit ihrem groben Großpflaster, in deren Mitte zwei schmale Betonstein-Streifen in Autospurweiten-Abstand leidlichen Fahrkomfort ermöglichen. Die Äpfel sind leider noch sauer, doch statt ihrer biedern sich am Ortsrand von Remkersleben einige Mirabellen an.

Am Haltepunkt und Posten Remkersleben angekommen, lasse ich mich erst einmal schweißgebadet ins Gras sinken. Doch lange dauert die Pause nicht, denn bald künden zunächst der Fernruf aus Seehausen (kein Leipziger Verfahren!) und dann das Läutewerk der Schranke vom nahenden Ferkel (die DR scheint ihre mechanischen Schrankenanlagen obligatorisch mit Läutewerk, aber ohne Gitterbehang ausgerüstet zu haben?).

    Genau so ist es. Man wollte offensichtlich einheitliche Erscheinungsbilder schaffen. Insbesondere Schrankenbehänge waren bei der DR sehr selten.

Der weitere Weg führt mich im Schatten auf Waldwegen bis zum Kloster Meyendorf, von dort in der ungeschützten Sonnenhitze auf und neben dem Bahndamm. Ein Bussard lässt dankenswerterweise und zur Abwechslung eine Feder fallen, über die Ella sich später freuen wird. Am BÜ des ehemaligen Posten 6, der hier WIMRE nach einem Unfall Zug/Auto Gegenstand einer Diskussion war, kann ich keine besonderen Gefährdungspotenziale erkennen.

Durch den Ort erreiche ich schließlich recht erschöpft den Bahnhof Seehausen mit seinem merkwürdigem Anbau am EG. Der Aufenthaltsraum der Schrankenwärterin ist liebevoll bepflanzt und an der Wand hängt eine der raren Verspätungstafeln: "Der um ... Uhr aus Richtung ... erwartete Zug ..." usw.. Ein autofahrender Bahnfotograf aus MTK meckert, als ich mich auf dem Bahnsteig positioniere und kann kaum fassen, dass ich tatsächlich mit dem Zug mitfahren möchte. Die Schrankenwärterin grinst sich im Vorübergehen eins und gibt mir den Tipp, meinen Haltewunsch möglichst deutlich zu machen, damit das Zugpersonal mich nicht im Glauben, ich wolle nur fotografieren, stehen lässt. Mein Kreissignal ist anschließend sehr erfolgreich :-)

Eilsleben - Magdeburg verstreicht auf den Treppenstufen eines Dosto ohne Streckensicht und ereignislos. In Magdeburg sind die ersten Ks-Signale gepflanzt, allem Anschein nach werden bald die alten Vorsignalschirme aus ihrem letzten Reservat vertrieben (wo gibt's die noch?).

Im Gleisgewirr zwischen Neustadt und Rothensee sichte ich eines jener Wärtervorsignale (einbegriffiges Spiegelei), wie sie kürzlich hier diskutiert wurden, kann es aber keiner Sh2-Tafel zuordnen. Die KBS 305 ist überwiegend neu für mich. Lediglich mit dem Hp Zielitz Ort, genauer: mit dem dortigen Posten 19 (Kuriosum: nur Fußwege-BÜ, Schlüsselabhängigkeit mit Wolmirstedt) hatte ich schon einmal Bekanntschaft gemacht, was mich zum Umsteigen dort von S auf RB bewog. Leider kam in der kurzen Wartezeit kein Zug, den ich mit dem Posten zusammen hätte in Szene setzen können, doch für ein Schwätzen mit der Schrankenwärterin über die Flut, ihre Folgen und das Leid der Welt hat's gereicht.

Der Bahnhof Zielitz ist entgegen meinen Erwartungen ohne Anschluss an das Kaliwerk, selbiger wird stattdessen zwei Kilometer weiter nördlich an einem Abzweig hergestellt, wo auch ein Stellwerk steht. Handelt es sich tatsächlich um zwei getrennte Betriebsstellen oder gehört das alles zu einem Bahnhof?

    Alles eins.

Die weiteren Bahnhöfe sind noch recht naturbelassen. Der Bahnhof Angern-Rogätz wartet sogar mit einem Reisendensicherer auf, der etwaige (bei meiner Fahrt nicht vorkommende) Fahrgäste über den niveaugleichen Bahnsteigzugang geleitet. Nur die Blockstellen Weißensee und Heeren haben schon das Zeitliche gesegnet, ihre 30er- (oder 50er-) Jahre Gebäude wachsen allmählich zu ...

In Stendal angekommen suche und finde ich zunächst eine kleine, feine Unterkunft. Ein Blick auf den Stadtplan dient der Suche nach Posten 48 (Dank an Uli Maschek, der den Posten in debe[alt] mal erwähnt hat) und offenbart zwei Möglichkeiten bezüglich dessen Lage. Ich wähle die nächstgelegene und lande am Bk Stendal Nord - nicht das Erhoffte, aber auch ganz nett. Kann es sein, dass ich von außen mechanische Hebel gesehen habe, obwohl die BkSig als für Lichtsignale ausgeführt sind?

Da der Tag noch nicht ganz vorbei ist, gönne ich mir noch eine Fahrt mit Alma nach Tangermünde, wieder eine Erstbereisung. Das Wägelchen ist wirklich allerliebst, und Hin- und Rückfahrt werden in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen. In Stendal Vorstadt kann ich leider nicht mal mehr eine Andeutung der einstigen Stendaler Kleinbahn-Strecke Richtung Stendal Ost erkennen.

Nach Abstechern in eine Pizzeria (ist ein stationär eingenommenes Bier eigentlich auch ein Reisebier, wenn es im Kontext einer Reise konsumiert wird?) und eine Dusche erreiche ich glücklich mein Bett

Der Sonntag beginnt trüb und mit bedecktem Himmel, so dass ich auf eine Fotovisite am Posten 48 verzichte; die Blasen an den Füßen erleichtern mir diese Entscheidung. Schon kurz vor 8 Uhr startet ein 425 gen Wittenberg. Die Bahnhöfe im nördlichen Abschnitt der KBS 305 sind deutlich zerrupfter als südlich von Stendal, dafür sind aber die Blockstellen Behrend, Düsedau (beide einst mit Zugangsstelle) und Vielbaum noch in Betrieb (gibt's Bk Losenrade Elbebrücke auch noch? So weit bin ich nicht gekommen). In der Praxis dürfte sich ihre Funktion allerdings längst auf die Signaldeckung der örtlichen BÜ beschränken, denn für die Zugfolge sind sie nicht erforderlich.

Geestgottberg verfügt noch über eine Art öA, die im Empfangsgebäude residiert und hier auch den realsozialistischen Fahrkartenschalter bedient. Nach kurzer Wartezeit kommt eine VT-Garnitur angeferkelt, und neben mir steigt ein Pärchen ein, dessen männlicher Teil offensichtlich auch eisenbahninteressiert ist. Der Tf offenbart sich schon auf den ersten Fahrtkilometern menschlich als A******ch: bei jeder Gelegenheit ein Grabsch nach der Zubin (die scheint Leid gewohnt) und zotige bis menschenverachtende Sprüche am laufenden Band ...

In Genzien möchte das Pärchen aussteigen und der männliche Part bittet darum, ihm die Möglichkeit für ein Foto zu geben. Die Zubin sagt freundlich zu, doch der Tf lacht nach dem Anhalten nur gehässig, schließt die Türen und fährt ohne fahrplanerzwungene Not los, noch bevor unser Freund eine sinnvolle Fotoposition erreicht hat. Was muss in Menschen vorgehen, die so ein Verhalten nötig haben?

Die Strecke selbst ist unspektakulär, aber die Landschaft besticht mit ihrem eigenen Reiz. Unweit Arendsee grüßt ein Aussichtsturm (o.ä.) in die Ferne und ein Blick auf die Karte zeigt, dass die Landschaft hier tatsächlich 56 m ü.NN erreicht. Auffällig sind die imposanten und aufwändig gestalteten EGs. War Wittenberge - Salzwedel einst eine Privatbahn?

In Arendsee, dem einzigen besetzten Zwischenbahn, ist Kreuzung und auch für mich Gelegenheit, ein Bild zu machen. In Salzwedel fädeln wir in die Hauptbahn Uelzen - Stendal ein und die Eingleisigkeit der Einfädelung beweist uns unerbittlich, dass wir uns auf dem Terrain der modernen B Netz befinden. Ein kaputter 425 am nördlichsten Bahnsteiggleis beschert uns eine Kurzeinfahrt mit 40 km/h und eine Fluchkanonade des Tf. Fahren die Ferkel normalerweise von Wittenberge bis Oebiswüste durch?

    Nein. Der 425 war nicht kaputt, sondern hatte eine planmäßige Wochenendruhe.

In Salzwedel lege ich eine Pause ein. Nach einem Abstecher zu Posten 13 mit seiner imposanten Schrankenanlage mitten auf einem fünfarmigen Knotenpunkt steht ein ausführlicher Altstadtbesuch an. Leider lässt die sonntagmorgendliche Kaffeehausgastronomie etwas zu wünschen übrig. Knappe zwei Stunden später ist das nächste Ferkel am ehemaligen Posten 14 dran, anschließend wende ich mich flinken Fußes zum Haltepunkt Salzwedel Altstadt. Auch dort ist noch eine Schrankenwärterin tätig, die nicht allen zwei Schrankenanlagen betätigen darf, sondern auch zwei schrankenabhängige Form-Deckungssignale. Als ich die RB nach Oebiswüste besteige, begrüßt mich freundlich die bereits vom Morgen bekannte Zubine, glücklicherweise in Begleitung eines anderen Tf. Südlich Salzwedel sind noch gut die Reste der ehemaligen Salzwedeler Kleinbahn zu erkennen, und ich frage mich mal wieder, warum mir in den ersten Jahren nach der "Wende" das Studium so viel wichtiger war als die Komplettbereisung der DR-Nebenbahnen ...

Die sechs Bahnhöfe auf der weiteren Strecke wirken alle recht großzügig, zudem sind immerhin vier von ihnen mit EZMG-Stellwerken versehen. War Salzwedel - Oebisfelde eine jener von der DR für Hauptbahn-Umleiter ausgebauten Strecken?

    Ja.

Frappierend, wie sehr sich die Infrastrukturausstattung von der der anschließenden KBS 303 unterscheidet. Doch außer dem durchgehenden Hauptgleis rosten die meisten Schienen vor sich hin. Lediglich in den drei planmäßigen Kreuzungsbahnhöfen macht je ein Nebengleis eine Ausnahme. Beetzendorf präsentiert sich als ausgewachsener Nebenbahn-Knotenpunkt mit immerhin zwei Stellwerken.

In Kusey zeigt das Ausfahrsignal entgegen den Gewohnheiten in den übrigen Bahnhöfen Halt. Der Fahrdienstleiter kommt aus seinem Vorbau und drückt der Zubin einen Befehl in die Hand mit der Bemerkung, der BÜ in km 19,7 sei schon den ganzen Tag gestört. Während die Zubin verstehend nickt wundert sich der Tf: "Kilometer 19,7, wo ist das denn?", und führt so den Sinn der zuweilen heftig kritisierten EBA-Forderung nach Hektometertafeln vor Augen. Weit müssen wir allerdings nicht fahren, um den gestörten BÜ zu finden, denn das ASig zeigt Ersatzsignal (das erste Mal, dass ich sowas an einem EZMG-Signal sehe) und es handelt sich um eine signalabhängige mechanische Halbschranke (wer hat sich das eigentlich ausgedacht?) unmittelbar hinter der letzten Weiche. Im weiteren Verlauf passieren wir die einzige Langsamfahrstelle, die mir seit Geestgottberg aufgefallen. Mit 30 km/h geht es zwischen Kunrau und Buchhorst durch den wunderschönen Naturpark Drömling, eine eigentümliche, von einem uralten Entwässerungssystem durchzogenen Moorlandschaft. Bei einem Blick auf die Karte scheint mir, dass der La-Abschnitt identisch ist mit der Durchfahrung des NSG "Nördlicher Drömling".

In Oebiswüste bringt der RE aus Rathenow +10 mit und ist brechend voll, doch ich finde noch ein Sitzplätzchen. Als ich mich bei der Einfahrt in Wolfsburg erhebe, um zum Ausgang zu gelangen, biegt der Zug unvermutet nach links ab und ich purzele fast einer schwäbischen Familienmama auf den Schoß, die dummerweise gerade - im Begriff einen Apfel zu schälen - ein Küchenmesser mit 15 cm langer Schneide in meine Falllinie reckt. Mit einigem Geruder zum Gleichgewichtserhalt kann ich Schlimmstes verhindern; doch sie schaut mich nur vorwurfsvoll an, so dass mich mir nicht verkneifen kann ihr auszumalen, in welche Schwierigkeiten sie geraten wäre, wenn man ihr Messer in meiner Leiche gefunden hätte.

Das Sixties-Design der Bahnsteigausstattung in Wolfsburg ist eine eigene Reise wert, ich merke sie mir mal als neues Ziel vor. Weiter geht's in der RB nach Hannover, vor deren Steuerwagen ein Knallfrosch hängt, während eine 110 abgebügelt hinten mitläuft. Interessanterweise fahren die meisten Reisenden nach Braunschweig weiter - führt da ein SWT-Trampelpfad über Seesen nach Süden?

In Lehrte fallen mir - wie später auch in Elze und Göttingen - die vergleichsweise vollen Gütergleise auf. Sind das alles tatsächlich noch Zugbildungsbahnhöfe oder gibt es gar trotz MORA-C noch nennenswertes örtliches Aufkommen?

Entgegen meinen Befürchtungen kann die 141 die Fahrzeiten halten, und ich erreiche in Hannover meinen Zwei-Minuten-Nichtanschluss zur RB nach Kreiensen. Nordstemmen, wo ich dem Posten 28 zuliebe noch eine Fotopause einlege, hält, was ich mir darunter vorstelle: schräg gegenüber vom Bahnhof gibt's einen guten Döner, die Wolken reißen nach einem heftigen Gewitter wieder auf und die Landschaft dampft.

Nach einigen Einblicken in die deutsche Privatbahnlandschaft auf Hauptstrecken verkürzen mir die architektonischen Details des desolaten Nordstemmener Insel-EGs ebenso die Wartezeit wie das Bahnsteigdach auf dem westlichen Bahnsteig - bei diesem handelt es sich um eine Beton-Kassetten-Konstruktion, eine Bauweise, wie ich sie sonst in D noch nie gesehen habe (einige Kilometer weiter in Elze steht auch so eine, musste ich dann feststellen).

Nach Umsteigen in Kreiensen (ab dort 614-Geheule) verzichte ich ab Göttingen auf weitere SWT-Quälereien und gönne mir nach Wilhelmshöhe einen IR. Und was könnte ein so erlebnisreiches Wochenende besser krönen, als zum guten Schluss noch meine Kinder ins Bett bringen zu dürfen ...

 

Diese Datei wurde erstellt von Volker Blees am 26.02.2004.
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